
Präsentation des Werkes
Die 1999 erfolgte Wiederentdeckung des Archivs der Sing-Akademie zu Berlin, das während des Zweiten Weltkriegs als verloren galt und zahlreiche Manuskripte sowie einzigartige Kopien der Passions- und Kantatenwerke von Carl Philipp Emanuel Bach umfasste, ermöglichte die erste vollständige Edition seiner Werke.
Das Repertoire der Hamburger Passionen von Carl Philipp Emanuel Bach markiert einen ambivalenten Meilenstein in der Entwicklung der „historischen und alten“ Art des Oratorio-Passion mit biblischen Texten, die die Passionsgeschichte erzählen, und der „modernen“ Art der Passion-Oratorien, die ein poetisches Libretto mit frei bearbeiteten Evangelientexten beinhalten, ohne Erzählung, jedoch organisiert um lyrische Reflexionen, gemäß den Idealen der Empfindsamkeit und des Galanten Stils, wie im berühmten Libretto von Ramler „Der Tod Jesu“, das ab 1755 von G.Ph. Telemann, C.H. Graun und auch von J.C.Fr. Bach, J.M. Kraus und anderen bis 1802 vertont wurde.
Obwohl die Passionen von C.P.E. Bach mehr Ähnlichkeiten mit denen seines Paten G.Ph. Telemann aufweisen als mit denen seines Vaters (die in Leipzig für den liturgischen Gottesdienst bestimmt waren), bleibt der väterliche Einfluss allgegenwärtig in der Kraft der Turbae und der sanften Ruhe der Choräle sowie in den ausdrucksstarken Figuralismen, die für die Kunst des Barock typisch sind.
In den Arien und meditativen Chören, die stark von seinen Zeitgenossen inspiriert oder aus seinen eigenen früheren Kompositionen übernommen wurden, zeigt sich C.P.E. Bach nicht nur als postbarocker Komponist, sondern er entwickelt sich gleichzeitig in den Tiefen der Gefühlsausdrücke, die den neuen galanten Stil und die vorromantische Strömung der Empfindsamkeit charakterisieren, mit Musik, die hauptsächlich darauf abzielt, das Herz zu berühren.
Eine Passion an der Kreuzung der Stile
Von den 21 Passionen, die C.P.E. Bach in Hamburg komponierte, ist keine völlig originell: Ihre Komposition erfolgt nach dem Pasticcio-Prinzip, einem Verfahren, das die Wiederverwendung von musikalischem Material aus früheren Werken ermöglichte, hauptsächlich für die Turbae (biblische Chöre) und Arien sowie Chöre der Meditation, die meist aus Entlehnungen (sowohl Librettos als auch Musik) entweder von ihm selbst, von seinem Vater, von G.Ph. Telemann oder anderen Komponisten wie G.A. Homilius, G. Benda und G.H. Stölzel stammen. Die „Passion nach Matthäus“ von 1781 ist die erste der vierten Reihe von Passionen, die Carl Philipp Emanuel Bach in Hamburg aufführte.
Abgesehen von der Wiederverwendung des musikalischen Rahmens seiner früheren Matthäuspassionen (1769, 1773, 1777), das heißt des biblischen Erzähltextes des Evangelisten und einiger Choräle, integriert diese Passion einen Chor von Gottfried August Homilius (Nr. 2) und zwei Arien von Georg Benda (Nr. 7 und 9), von denen eine mit neuem Text versehen wurde. Es finden sich auch drei persönliche Entlehnungen (Nr. 14, 16, 26), zwei neue chorale Arrangements von Gesängen, die ursprünglich für Gesang mit Klavierbegleitung komponiert wurden (Nr. 20 und 28), sowie zwei von ihm scheinbar neu komponierte Rezitative (Nr. 6 und 19).
Die Chöre der Turbae sowie die Duette der Hohenpriester und der Falschen Zeugen aus der Passion von 1781 sind identisch mit denen aus den Matthäus-Passionen früherer Zyklen, mit einer Umverteilung der Register, die den Rollen zugeordnet sind, aber ohne Veränderung der musikalischen Substanz. Diese Bewegungen – mit wenigen Ausnahmen – stammen aus der „Matthäuspassion“ BWV 244 von Johann Sebastian Bach, ebenso wie die Mehrheit der Choräle, die das Werk durchziehen, jedoch auf verschiedenen Textstrophen.
Vier der Turbae hingegen wurden aus anderen Quellen entlehnt, darunter eine eindeutig aus der Markuspassion von G.A. Homilius; die anderen wurden möglicherweise von C.P.E. Bach selbst komponiert. So erscheint die „Matthäuspassion“ von 1781 von Carl Philipp Emanuel Bach als gleichzeitig alt und modern, prägnant in ihrer Form und musikalisch eher homogen, jedoch sehr vielfältig dank der verschmolzenen Zitate und Entlehnungen, die darin vereint sind. Beim Hören hat man nicht das Gefühl der Entfremdung, denn es scheint, als befände man sich in bekannten Gefilden, die von vertrauten Resonanzen durchzogen sind. Und plötzlich wird man in neue Horizonte entführt, die sanfter und beruhigender erscheinen, aber auch manchmal von beunruhigenderen Tönen durchzogen sind. Eine Sprache, die sowohl die empfindsame Seele anspricht als auch den Gläubigen auf sein menschliches Schicksal hinweist.
Aufführungspraxis
Für die Aufführung konnte C.P.E. Bach auf ein Ensemble von höchstens acht Sängern (Solo- und Tutti-Rollen) und etwa fünfzehn Instrumentalisten zählen. Es ist daher nur natürlich, dass diese „Passions-Musik nach dem Evangelisten Matthäus“ (H 794) mit einer „Capella concertata“ aufgeführt wird, die eine ähnliche Besetzung aufweist wie das Ensemble, für das sie 1781 in Hamburg von Bach konzipiert wurde.
Biografie
Der Bach von Berlin und Hamburg
Geboren am 8. März 1714 in Weimar, war Carl Philipp Emanuel Bach der zweite Sohn von Johann Sebastian Bach und dessen erster Ehefrau Maria Barbara. Schon im Alter von neun Jahren wuchs er in der reichen Musikatmosphäre von Leipzig auf, wobei er keinen anderen Musiklehrer hatte als seinen Vater. Schon in seiner Kindheit war er ein Virtuose am Cembalo und widmete sich dennoch dem Jurastudium in Leipzig und später in Frankfurt an der Oder, während er selbstverständlich auch komponierte.
Ab 1738 gehörte C.P.E. Bach fast 30 Jahre lang dem Hof von Friedrich dem Großen in Berlin und Potsdam an, zunächst als Cembalist. Doch im Vergleich zu seinen Kollegen am Hof, den privilegierten Carl Heinrich Graun und besonders Johann Joachim Quantz, dem Flötenlehrer des Königs, fand er nicht die nötige Anerkennung.
Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1750, erbte Carl Philipp Emanuel einen Teil des Familienvermögens und nahm seinen Halbbruder Johann Christian bei sich auf. 1753 veröffentlichte er sein berühmtes „Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen“, das wahrscheinlich das wichtigste praktische Musiktraktat des 18. Jahrhunderts ist. Im selben Jahr versuchte er vergeblich, eine Kantorenstelle in Braunschweig, Zittau und schließlich 1755 an der St. Thomas Kirche in Leipzig zu erlangen.
1768 verließ Bach den Hof des Preußenkönigs und trat ein Amt in Hamburg an, wo er die Nachfolge seines Paten Georg Philipp Telemann antrat, der ein Jahr zuvor verstorben war. In Hamburg wurde er Kantor am Johanneum und vor allem Direktor der Musik der Stadt und ihrer fünf Hauptkirchen (St. Peter, St. Nikolai, St. Katharinen, St. Jakobi und St. Michaelis) – eine anspruchsvolle Nachfolge sowohl qualitativ als auch quantitativ. Bald darauf veranstaltete C.P.E. Bach eigene Konzerte in Hamburg, wo er sich als Komponist und Interpret einen Namen machte. So erreichte C.P.E. Bach gegen Ende des 18. Jahrhunderts den Höhepunkt seines Ruhms: Mozart sagte von ihm: „Er ist der Vater, wir sind die Kinder.“ Ein Großteil der Ausbildung Haydns basiert auf dem Studium von C.P.E. Bachs Werken; sogar Beethoven erkannte in ihm mit Bewunderung und Respekt ein Genie.
Er starb am 14. Dezember 1788 an einer akuten Brustkrankheit und wurde unter der Gewölbedecke der St. Michaelis Kirche in Hamburg beigesetzt.
Sein Werk umfasst nahezu alle musikalischen Genres seiner Zeit, mit Ausnahme der Oper.
Das Genre der Oratorio-Passion
Das Genre der Oratorio-Passion, das auf einer Tradition des 17. Jahrhunderts beruht, fand seinen Abschluss in Hamburg, wo jedes Jahr eine Passion aufgeführt wurde, jeweils nach einem der vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Diese Musik war ein wesentlicher Bestandteil des gewöhnlichen Gottesdienstes in den fünf Hauptkirchen der Stadt, wo sie an den Sonntagen der Fastenzeit aufgeführt wurde, was eine extreme Konzentration erforderte, da die Musik auf etwa eine Stunde begrenzt war.